Dr. Hans-Dieter Wunderlich wird Fernschacholympiasieger

Mittwoch 9. November 2011 von Heinz-Roland Send

Der in Weidenau geborene und aufgewachsene Fernschach-Großmeister Dr. Hans-Dieter Wunderlich ist mit der deutschen Nationalmannschaft Sieger der 17. Fernschacholympiade und damit Mannschaftsweltmeister geworden. Dabei erreichte er mit 9 von 12 möglichen Punkte das beste
Einzelergebnis aller 78 Teilnehmer.
Dies bedeutete gleichzeitig sowohl den souveränen Gewinn seines Brettes als auch das beste Resultat aller 6 deutschen Einzelspieler.
In der Aufstellung
Brett 1: Maximilian Voss (6)
Brett 2: Peter Hertel (7,5)
Brett 3: Arno Nickel (8)
Brett 4: Dr. Stephan Busemann (7)
Brett 5: Dr. Hans-Dieter Wunderlich (9)
Brett 6: Gerhard Müller (7)
erzielten die deutschen Spieler damit 44,5 von 72 möglichen Punkten und gewannen den Titel erstmals seit 2006 wieder für Deutschland.

Das von der „International Correspondence Chess Federation“ (ICCF) ausgerichtete Turnier war bereits im September 2009 gestartet worden und ist derzeit noch im Gang. Dennoch kann die deutsche Mannschaft, die mit drei Punkten Vorsprung inzwischen alle ihre Partien beendet hat, von den zweitplatzierten Spaniern nicht mehr verdrängt werden.
Dahinter gibt es noch einen spannenden Kampf zwischen Italien, Estland und Russland um die Bronzemedaille.
Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite
http://www.iccf-webchess.com/EventCrossTable.aspx?id=19050
Hier können sogar die Partien nachgespielt werden.

In der parallel verlaufenen Einzelweltmeisterschaft hat Dr. Wunderlich bereits einen Platz auf dem Treppchen sicher. Aktuell konkurriert er mit dem türkischen Großmeister Tansel Turgut um die Vizeweltmeisterschaft. Sieger wurde vorzeitig der Slowene Marjan Šemrl. Die Tabelle mit Zugriff auf die Partien findet man im Internet unter
http://www.iccf-webchess.com/EventCrossTable.aspx?id=18349

Dr. Wunderlich, der 1971 am Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium in Weidenau sein Abitur ablegte und anschließend in Münster Mathematik und mathematische Logik studierte und in diesem Fach auch promovierte, lebt derzeit in München und ist dort in der Telekommunikationsbranche beschäftigt.
Seine schachliche Karriere begann er in den sechziger Jahren als Jugendlicher im Weidenauer Schachverein wo er 1968 auch Vereinsmeister wurde.
Auch begann damals schon seine Leidenschaft für das Fernschach, das er jedoch zunächst nur im Freundeskreis spielte. Ernsthaft betreibt er Fernschach seit 1977, wo er sich zunächst im Rahmen des Deutschen Fernschachbundes bis in die Meisterklasse empor spielte. 1995 begann seine Laufbahn beim Internationalen Fernschachverband (ICCF). Hier schaffte er den Aufstieg bis zur Endrunde der Einzelweltmeisterschaft, und im Jahr 2006 wurde ihm der Titel des Fernschach-Großmeisters verliehen

In einem kurzen Interview gibt Dr. Hans-Dieter Wunderlich darüber Auskunft, wie sich Fernschach heutzutage abspielt:

Frage: Was reizt Sie so sehr an Fernschach?
Wunderlich:
Fernschach ist ein ständiger Begleiter in meinem Leben. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, warum ich vor über 30 Jahren damit begonnen habe. Später habe ich es jedenfalls in erster Linie betrieben, um meine Nahschach-Leistung zu steigern (während meiner Zeit an der Uni habe ich für Caissa Münster am 1. Brett in der damaligen NRW-Liga gespielt, später bin ich beim SC Sendling immerhin zu einigen Einsätzen in der 2. Bundesliga gekommen). Das hat zu meinem Leidwesen nicht richtig funktioniert, statt dessen hatte ich plötzlich ungeahnte Fernschach-Erfolge, so dass das Fernschach nach und nach zum Schwerpunkt meiner Schachaktivitäten wurde und heute das Nahschach fast völlig verdrängt hat. Mich reizt besonders der wissenschaftliche Aspekt am Fernschach. Man muss sich nicht innerhalb von Minuten oder sogar Sekunden für Züge entscheiden, die möglicherweise eine gute Stellung unmittelbar verderben. Grobe Patzer kann man fast komplett ausschließen.

Frage: Wie hat sich Fernschach im Lauf der letzten Jahre(Jahrzehnte) entwickelt?
Wunderlich:
Als ich mit dem Fernschach begann, wurden die Züge per Postkarte versendet, so dass Turniere manchmal erst nach fünf Jahren zu Ende waren. Dann begann die Zugübermittlung per Fax und per E-Mail, und heutzutage wird überwiegend auf Internet-Servern gespielt. Damit dauern die Turniere „nur noch“ etwa zwei Jahre. Das ist die wesentliche Entwicklung im spieltechnischen Bereich. Aber die Frage zielt vermutlich mehr auf das Thema „Computer-Unterstützung“ ab. Die Verwendung von starken Schachprogrammen hat nicht nur das Fernschach sondern auch das Nahschach revolutioniert. Große Teile der Eröffnungstheorie mussten und müssen noch umgeschrieben werden, aber auch die Lehre des Mittel- und Endspiels blieb nicht ungeschoren. Der Spielstil (nicht nur) der führenden Schachspieler hat sich dramatisch gewandelt. Regeln, die früher als unumstößlich galten, wurden plötzlich in Frage gestellt, weil die Schachprogramme zu Ideenlieferanten sonder gleichen wurden. Und so ist die Verwendung von Schachprogrammen zumindest im Spitzenschach nicht mehr wegzudenken. Das Fernschach ist hier keine Ausnahme. Ein großer Unterschied zum Nahschach besteht allerdings darin, dass beim Fernschach die Verwendung von Schachprogrammen nicht nur zur Vorbereitung sondern auch während der Partien ausdrücklich erlaubt ist. Dadurch hat sich die Qualität der Partien in den letzten Jahren erheblich gesteigert. Es ist allerdings auch festzustellen, dass sich viele Fernschachspieler zurückgezogen haben, weil sie sich auf diese neue Disziplin nicht einlassen wollten. Für diese Spieler gibt es sogar eine eigene Turnierform der sogenannten „engine-freien“ Turniere, bei denen sich die Teilnehmer verpflichten, keine Schachprogramme zu Rate zu ziehen.

Frage:
Wieviel Aufwand und welche materielle Ausstattung ist heutzutage erforderlich, um zur Weltspitze zu gehören?
Wunderlich:
Zunächst mal braucht man viel Zeit und noch mehr Geduld. Bei der materiellen Ausstattung genügt ein handelsüblicher Computer mit ein paar möglichst schnellen CPUs und einem großen Arbeitsspeicher. Dazu ein ebenfalls handelsübliches Schachprogramm und zwei oder drei „Engines“. Das sind die Rechenkerne, die nach verschiedenen Gesichtspunkten Schachstellungen bewerten und Varianten vorschlagen. Zum Teil gibt es diese Engines zum kostenlosen Download im Internet, einige sind aber auch käuflich zu erwerben.

Frage: Was sagen Sie denen, die behaupten, dass Fernschach eigentlich tot ist, weil eine Partie nur noch durch die besten Computer und Programme entschieden wird!
Wunderlich:
Natürlich ist die materielle Ausstattung wichtig. Aber sie ist nicht wirklich entscheidend. Viel wichtiger ist der intelligente und systematische Umgang mit den zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln. Wer einfach nur seinen Rechner ein paar Stunden rechnen lässt und dann jeweils den vorgeschlagenen Zug ausführt, der wird schnell erkennen, dass das für den Aufstieg in die Weltspitze nicht ausreicht. Es gibt z.B. viele Stellungen, in denen Schachprogramme zwar behaupten, einen deutlichen Vorteil zu haben, aber keine Idee aufzeigen, wie man den Vorteil zum Sieg umsetzen kann. Statt dessen ziehen sie planlos hin und her und merken nicht, wie sie sich im Kreis drehen. Dann gibt es Stellungen, in denen sich unterschiedliche Engines nicht einig sind und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Dann ist der Mensch gefragt, eigene Ideen einzubringen, auszuprobieren, mit Hilfe der Engines zu überprüfen. Es ist immer die Interaktion zwischen Mensch und Maschine, die letztlich die Spielstärke ausmacht.
Fernschach ist daher nicht tot sondern zu einer anderen Disziplin geworden: Die wissenschaftliche Verwendung sämtlicher zur Verfügung stehender Hilfsmittel mit dem Ziel, möglichst fehlerfreies Schach zu spielen!

Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 9. November 2011 um 01:32 und abgelegt unter Allgemeines. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

Ein Kommentar über “Dr. Hans-Dieter Wunderlich wird Fernschacholympiasieger”

  1. Klaus Wunderlich schrieb:

    Wunderlich? Den Älteren unter Ihnen mag der Name bekannt vorkommen. Der Vater von Dr. Hans-Dieter Wunderlich, Günther Wunderlich (der auch mein Vater ist), ist nämlich in Siegerländer Schachkreisen kein Unbekannter als guter Spieler, langjähriger Spielleiter des Schachverbands Südwestfalen und als jemand, der maßgeblich an der erfolgreichen Durchführung der Schacholympiade 1970 in Siegen beteiligt war. 1946 schrieb der dreimalige deutsche Meister, Berufsschachspieler seit 1922, Georg Kieninger, nach einem Sieg gegen den 24jährigen Günther Wunderlich in fast 7stündigem Kampf bei der Südwestfalenmeisterschaft in Menden in der Presse: „Mit dem jungen Wunderlich wächst dem deutschen Schach ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent heran.“ Wer hätte damals gedacht, dass sein Sohn ihn noch übertreffen wird? Heute verfolgt er, der seit seiner Geburt ununterbrochen in Weidenau lebt, im Alter von 89 Jahren die Erfolge seines Sohnes im Internet.

    Eine kleine Anekdote sei noch angemerkt: Vom 8.1.1967 bis zum 27.1.1995 habe ich (bestenfalls Gelegenheitsschachspieler) eine rekordverdächtige, weil mehr als 28 Jahre dauernde, Fernschachpartie gegen meinen Bruder gespielt, die ich – natürlich – verloren habe.